Ich komme immer zurück zu dir.

Du fragst, warum – was sollte ich darauf antworten? Ist das nicht offensichtlich? Venedig, Meer-Geborene. Genüssliche, elegant gegen die Gezeiten gestellt. Wo die Jahrhunderte glänzen, wie eine Tanzgesellschaft in Barockspiegeln. Du vom Schicksal geküsste, immer währende. Venedig – my love.

Denke ich an Venedig, dann fliegen mir tausend Erinnerungen zu. Wie die schönen Tage im Juni: strahlend, einzigartig, voller Erwartungen. Es war die Zeit, bevor Touristen wieder ohne Beschränkungen kommen durften. Die Minute vor Saisonstart, wenn auch spät. Die Vorfreude und die Eifrigkeit in den Restaurants und auf den Straßen waren beispiellos.

Wir stimmten ein in das Lachen und ließen uns führen von den Plätzchen und Gässchen, über Brücken und an Kanälen. Redeten, schauten, genossen, entdeckten: auch das kleine Gewächshaus am Rande des Giardinis. Gestiftet von Napoleon, gefüttert mit tropischen Ideen aus vielen Jahrzehnten spendete es uns Schatten beim nachmittäglichen Aperitif. Und das Jugendstilhotel auf dem Lido, das uns ein geräumiges Zimmer mit einladender Terrasse bot. Von der wir ganz hinüber zum Markusplatz blickten. Eigentlich hätten wir dort droben leicht unsere Venedigtage verbringen können. Oder der kleine Markt am Morgen auf dem Lido, auf dem wir uns mit Köstlichkeiten eindeckten. Wie liebte ich das Bummeln darüber, wie ungern nahmen wir Abschied.

Den Sommer über trug ich Venedig in mir. Dann, gegen Ende, schon im September erfasste uns die Sehnsucht, noch einmal von Venedigs Süße zu kosten. Es sollten alle schönen Erinnerungen wach werden. Noch einmal hinüber zum Markusplatz geblickt. Und diese wunderbare Unbeschwertheit zelebriert.

Ankunft im Regen. Mit durchnässten Sommerkleidern erreichten wir das Hotel, „unser“ Hotel. Trotz ausführlicher Buchung und der Versicherung, dass wir wieder im oberen Zimmer mit Terrasse und Blick bleiben konnten, quartierte man uns ein im abgelegenen Gartenhaus, Erdgeschoss, Efeu berankter Balkon, der sicherlich an heißen Tagen Abkühlung verspricht, nun aber Tausende Mücken beherbergte, in schwermütiger Dunkelheit. „Scusa, mille volte! Plötzliche Reparaturarbeiten.“ Der Touristenansturm im Sommer habe seine Spuren hinterlassen. Nun beginne man eben schon jetzt mit dem Aufräumen. Obwohl sicherlich noch Saison sei, naja, eine Woche noch. Man sei erschöpft. Jeder in Venedig sei es. „Scusa.“

Am Morgen dichter Nebel. Herbstgruß. Die Kälte kroch unter die Haut. Wir hätten mit dem Vaporetto sonst wohin fahren können, sahen wir kaum die Hand vor den Augen. Die Wellen klatschten an die Fähre, schlugen ans Ufer. Gaben den

Rhythmus für die Tage vor. Selbst meine Gedanken schwankten, schlingerten, seekrank. Bis die Sonne durch den Nebel brach und uns wärmte. Genüssliche Stunden in den Cafés. Zurück die Unbeschwertheit in Venedig, das sich stets gegen alles Planen sträubt und uns wie einen Spielball dahin und dorthin wirft.

Und neue Entdeckungen: Tintoretto im majestätische San Giorgio Maggiore, Strawinsky auf dem kleinen, versteckten San Michele, das Guggenheim mit seinem skurrilen Geschäft voller Frida-Kahlo-Strümpfe und Jackson-Pollok-Hemden. Und zum Schluss blieb uns ein Strandtag am Lido. Wo wir angelehnt an die Thomas-Mann-Kulisse aufs Meer schauten und die Sonnenstrahlen einsogen. Als Vorrat für den Winter.

Ich liebte die Nebelschwaden auf dem Canale Grande, das sanfte Schlingern der Geräusche und stellte mir vor, ich sei ein Palazzo. Ganz vorn an der Promenade. Stehe ich und trotze den Gezeiten. Zu mir schauen alle auf und lehnen sich an: Peggys Palazzo Venier dei Leoni, der Palazzo Dario, der Vendramin-Calergi und die schöne Santa Maria della Salute. Staunen sie über meine stattliche Fassade, die Balkone und spiegelnden Fenster, über die Lichter und Gondoliere vor meinem Tor und über meine Dachterrasse – natürlich! -, von der man weit über die Inseln schauen kann. Bis ins kleine Lido Thomas Manns. In jedem Saal ein Fest.

Venedig, du schöne Freundin im Herbstkleid. Lehne ich mich an? Ich nehme deinen Herbstduft nach Hause und träume vom Wellenklatschen und den Möwenschreien. Einen ganzen Winter lang.

Dann komme ich zurück.

Venedig – my love.

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